Eigentlich wollten wir ja nach Tschechien. Dann in die Schweiz. Irgendwie konnten wir uns nicht so richtig entscheiden. Schließlich buchten wir kurzentschlossen und schon ziemlich auf den letzten Drücker eine Ferienwohnung im Elsass. Das Elsass ist das französische Gegenstück zum Schwarzwald, linksrheinisch gelegen. Von Berlin aus sind das doch schon so viele Kilometer, dass man das nicht unbedingt an einem Tag fahren muss. Also machten wir Zwischenstation in der fränkischen Schweiz, was die Strecke ziemlich genau halbiert.
Einige Karten mussten im fränkischen Pottenstein aneinander gereiht werden, um den Zielort ins Blickfeld zu bringen. Le Hohwald liegt in den Vogesen auf geographischer Breite zwischen Strassburg und Colmar. 500 Einwohner? Eher wohl ein Bergdorf? Wir wussten nicht so recht, was auf uns zukommen würde. Um es vorweg zu nehmen – wir wurden auf das angenehmste überrascht. Das Quartier konnte man wohlwollend als urig bezeichnen. Etwas altmodisch und verschroben, künstlerisch angehaucht und letztlich liebenswert. Der Blumenschmuck war wirklich sehenswert. Der Schwalbenschwarm, der seine Nester unter die Dachkante gebaut hat, brachte Leben in die Bude und weiße Flecken aufs Auto.
Der Ort selbst entpuppte sich als etwas altmodischer Wintersportort. Das Grandhotel wurde wohl vor ca. 100 Jahren von einem Berliner Industriellen errichtet und kürzlich wiedereröffnet. Le Hohwald (auch dies einer der typischen französisch-deutschen Namen) liegt auf ca. 600 Metern Höhe in den Vogesen, so dass die Hitze der Sommertage der Rheinebene nicht bis dorthin kommt. Vom Ort Andlau schlängelt sich die Straße an der Anlau entlang. Das Elsass hat eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich, bei der es in den letzten Jahrhunderten mehrfach die Nation wechselte, meistens ohne gefragt zu werden. Schon die alten Römer hatten sich hier 400 Jahre lang festgesetzt. Heute beherbergt Strassburg das europäische Parlament und ist eine Kernzelle der europäischen Verständigung. Viele Elsässer sprechen deutsch, so dass man trotz geringer französisch-Kenntnisse klarkommen kann.
Die Ortsnamen und Passstraßen sind in der heutigen Form niedlich und teilweise unerwartet: Le Schneckenriedkopf, Grendelbruch, Neuntelstein, Haut Koenigsburg, Col de la Schlucht, Col du Platzerwasel. Manche deutschen Namen haben sich erhalten, manche sind mit Präpositionen versehen worden, einige lautmalerisch ins französische übertragen. Etliche Orte hatten wohl schon lange einen deutschen und einen französischen Namen. Westlich der Vogesen wird das Elsass dann endgültig französisch.
Das Elsass ist eines der bekannteren Weinanbaugebiete Frankreichs. An den sanften Hängen der Vogesen zwischen Rheinebene und Gebirge liegen praktisch flächendeckend Weinberge. Hier ist es warm und sonnig. In den Orten an der hier verlaufenden Weinstraße liegen die Weingeschäfte dicht an dicht. Hauptsächlich wird Weßwein angebaut. Einige haben wir probiert, darunter auch den Klevener, der eine lokale Spezialität ist. Einige Flaschen der örtlichen Sorten haben wir nach Hause befördert.
Itterswiller und Andlau an der Route des Vins
Wirklich flach ist es nirgends in den Vogesen. Radtouren sind immer interessant und gespickt mit Höhenmetern. Die meisten Straßen sind klein, gut asphaltiert und nicht sehr verkehrsreich. Ideal also zum Rennradfahren. Die Tour de France ist regelmäßig Gast in den Vogesen und kam schon mehrfach vor unserem Haus vorbei. Die Angaben der Passhöhen klingen nicht so gewaltig wie in den Alpen, aber man muss bedenken, dass die Rheinebene nur auf ca. 200 Meter liegt. Von dort bis auf den Grand Ballon sind es über 1100 Höhenmeter am Stück. Selbst unsere scheinbar harmlose Hausrunde hatte ca. 900 Höhenmeter.
Der Odilienberg mit seinem Kloster ist sozusagen der Hohwälder Hausberg. Von hier bot sich erstmals eine der grandiosen Aussichten in die Rheinebene mit ihren kleinen Orten, Weinbergen, Feldern und dem Schwarzwald als Silhouette im Hintergrund.
Die hohe Königsburg ist einer der Touristenmagnete schlechthin. Anzuraten eigentlich nur in der Woche und möglichst zeitig. Der Ansturm auf die Parkplätze ist unbeschreiblich. Die Burgruine wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von Kaiser Wilhelm II. in allen Details restauriert. Geschmacklos oder nicht – sehenswert ist es alle Male.
Gegenüber der Königsburg liegen die Ruinen zweier ehemals verfeindeter Burgen. Diese sind nur zu Fuß zu erreichen, weshalb man hier nur recht wenige Touristen antrifft. Allerdings hatten wir den Eindruck, dass die Franzosen wanderfreudiger sind als die Deutschen. Die Wanderwege sind durchaus nicht menschenleer. Und Punkt 12 Uhr ist Picknick. Die Mittagspause ist heilig. Wer die Straßen für sich haben will, sollte kurz vor 12 Uhr aufbrechen.
Blick von der Ortenburg in die Rheinebene
Das Schiffshebewerk, mit dessen Hilfe der Marne-Kanal die knapp 50 Meter Höhenunterschied der Vogesenschwelle überwindet, ist einfach nur eindrucksvoll. Die Kanalstrecke enthält sogar Tunnelstücke. Im Gegensatz zu beispielweise Niederfinow, wo Trog und Gegegewichte senkrecht hängen, läuft hier alles auf Schienen eine schiefe Ebene (plan incliné) hoch und runter. Geschickte Gewichtsverteilung sorgt dafür, dass fast 2000 Tonnen Masse von einem relativ kleinen E-Motor bewegt werden können.
Die Städte Colmar und Strassburg sind natürlich einen Ausflug wert und bieten, was man erwartet: Fachwerkhäuser, Kirchen und Bootsrundfahrten.
Die Route des Crêtes ist die Gipfelstraße des Vogesenkamms. Sie wurde als militärische Verbindungsstraße angelegt und dient heute praktisch ausschließlich touristischen Zwecken. Wir haben uns bei idealem Wetter für die einfache Variante entschieden und sind mit dem Auto zum Col de la Schlucht hochgefahren, einer Passkreuzung mit Skiort auf gut 1100 Metern. Von dort kann man die Gipfelstraße ohne die ganz großen Anstiege und Abfahrten erschließen. Höchster Punkt ist der Pass des Grand Ballon auf 1343 Metern. Klar war auch hier schon die Tour. Die Straßenkunst berichtet von scheinbar glücklicheren Zeiten des Radsports.
Was bleibt ist das Gefühl, einen sehr angenehmen Urlaub verbracht zu haben. Ein paar Flaschen Wein im Keller. Viele neue Eindrücke und deshalb ein Haufen Fotos. Die Erkenntnis, dass man am Tandem vielleicht doch Scheibenbremsen haben sollte.