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Fotoecke – Die Spiegelreflex-Kamera – ein Nachruf

Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende zu, und es wird Zeit für einen Nachruf – zu Lebzeiten, weil die Betrauerte noch nicht verstorben ist. Eine Ära geht zu Ende, nämlich die der Spiegelreflex-Kamera. Es wird Zeit ihre Memoiren zu schreiben, ganz ohne Bilder. Dies ist nicht der erste Nachruf in dieser Sache, das www ist voll davon (s. Literatur), aber es ist mir ein Bedürfnis.

Die Spiegelreflex-Kamera war und ist eine pfiffige und enorm erfolgreiche Erfindung, die uns Jahrzehnte begleitet hat, die immer weiter optimiert wurde und die wir geliebt haben. Zur Geschichte sei als Einstiegspunkt verwiesen auf den Wikipedia-Artikel hierzu. Demnach wurden die ersten "Single Lens Reflex" (SLR)-Kameras in den 1940er Jahren in Serie produziert, also "einäugige" Kameras mit Suchereinblick auf Augenhöhe unter Verwendung nur eines Objektivs. Das Grundprinzip aber stammt weit aus dem 19. Jahrhundert, unglaublich.

Minolta X-500 (1983) und Nikon D500 (2016)

Das Prinzip lautet in Kürze: Vor der Aufnahme wird das Bild des Objektivs von einem Spiegel auf eine Mattscheibe projiziert, die man im Sucher über eine Optik ("Pentaprisma" und Okular) betrachtet. Zur Aufnahme schwingt der Spiegel weg und gibt den Film zur Belichtung frei, der Verschluss läuft durch und der Spiegel schwingt zurück. In den 1990er Jahren wurde der Film erstmals durch einen digitalen Bildsensor ersetzt ("Digital Single Lens Reflex" DSLR). Seit den 2000er Jahren erschienen sog. spiegellose Systemkameras ohne Reflexspiegel ("Single Lens Mirrorless" SLM). Abgesehen davon gab und gibt es analoge und digitale Sucherkameras, die keinen Spiegelmechanismus verwenden.

SLMs sind kompakt, hatten aber bislang einen entscheidenden Nachteil: Der Autofokus arbeitete direkt mit den Sensordaten und musste den korrekten Fokus durch Auswerten von Kontrast-Information und mehr oder weniger geschicktes Probieren finden. Die DLSRs benutzen hingegen einen sog. Phasenkontrast-Sensor, der die korrekte Fokusposition mit einer einzigen Messung sofort bestimmen kann. Deshalb konnten DSLRs wesntlich schneller fokussieren als spiegellose Kameras und waren daher insbesondere für Sportfotographie alternativlos (ein schönes Wort!). Besonders die großen Hersteller Canon und vor allem Nikon haben das nachführen und Objekt-Verfolgen während der Aufnahme von Bildserien bewegter Objekte immer weiter perfektioniert. Die professionellen Kameras wie Nikon D5, D500 oder Canon 1DX sind in 2018 die bisherige Endstufe dieser Entwicklung. Außerdem haben die Monitore und elektronischen Sucher der SLMs eine zeitliche Verzögerung, weil bis zur Anzeige des Livebilds eine lange Signalaufbereitungskette abgearbeitet werden muss. Die optischen Sucher der DSLRs arbeiten hingegen verzögerungslos, sozusagen mit Lichtgeschwindigkeit. Die analoge Technik ist in diesem Fall einfach schneller als die digitale. Da der analoge Lichtstrahlengang keinen Strom braucht (im Gegensatz zu einem elektronischen Livebild), hielten die Akkus der DSLRs um ein mehrfaches länger durch.

Allerdings gab und gibt es einige Nachteile der SLRs: Das Fokusmodul sitzt nicht in der Sensorebene, sondern wird über eine Anordnung von Spiegeln belichtet. Die Positionierung ist daher anfällig für mechanische Ungenauigkeiten. Dies führt zu Abweichungen, die besonders bei hochlichtstarken Objektiven auffallen (s. dazu die Erfahrungen mit der D5500). Aufwändige Feinjustage wird dann notwendig, was nur bei den teureren Kameras möglich ist. Objektive, die beim Abblenden einen sog. Fokus-Shift zeigen, erzeugen zusätzliche Ungenauigkeiten beim Fokussieren. Der Spiegelmechanismus braucht Platz, daher können Objektive, insbesondere solche mit kleinen Brennweiten nicht nah an den Sensor heranreichen, sondern müssen aufwändig länger (und größer und meist schwerer) konstruiert werden ("Retrofokus-Objektive"). Der Schwingspiegel ist als mechanische Komponente nicht beliebig schnell und begrenzt die Anzahl der Aufnahmen pro Sekunde. Außerdem bringt der schwingende Spiegel Bewegungen ins System, wodurch Aufnahmen verwackeln können, und er erzeugt Geräusche, die in ruhigen Umgebungen stören. Dies sind eine ganze Menge Nachteile, die man in Kauf nimmt, solange kein anderes System besser funktioniert.

Aus den genannten Gründen wurden zumindest im professionellen Einsatz in den letzten Jahren DSLRs verwendet. Insbesondere die Großen Zwei Canon und Nikon haben sich daher in Sachen SLM abwartend zurückgehalten. Zwei Dinge haben sich mit der Zeit geändert: Die elektronische Signalverarbeitung ist viel schneller geworden, aber was noch wichtiger ist: Die Sensorhersteller fingen an, Fokussensoren auf raffinierte Weise direkt in die Aufnahmesensoren einzubetten. Dadurch kann das Fokusprinzip der DSLRs, der Phasenkontrast-Autokus, direkt auf dem Sensor verwendet werden. Das ist technisch schwierig, wird aber immer besser. Dadurch entällt langsam der Hauptgrund für die Spiegelvorrichtung. Wenn eine SLM genauso schnell und sicher fokussieren kann wie eine DSLR, kann sie in der Sportfotographie und überhaupt der Pressefotographie eingesetzt werden. Alle genannten Nachteile der Spiegelreflexkamera können damit über Bord geworfen werden. Weitere Vorteile der SLM werden deutlich, nämlich z.B. die Echtzeitanzeige von Bildkorrekturen bereits vor der Aufnahme.

Die großen Hersteller haben sicherlich nicht geschlafen, sondern haben beobachtet, was z.B. Olympus, Panasonic und Fuji auf die Beine stellen. Als Sony mit ernsthaften Vollformat-SLMs herauskam, wurde es langsam enger, aber vermutlich liefen da im Hintergrund schon die Neuentwicklungen. In 2018 haben schließlich Nikon (mit großem Tamtam) und Canon (stiller aber genauso professionell) Vollformat-SLMs herausgebracht, die praktisch genauso gut funktionieren wie die bisherigen DSLRs. Viel spricht dafür, dass das Zeitalter der DSLR damit vorbei ist, zumindest was aufwändige Neuentwicklungen betrifft. So wie die Nikon F6 als letzte Film-SLR immer noch produziert wurde, wird vielleicht die D5 die letzte Profi-DSLR bleiben, eine D6 wird es nicht geben. Stattdessen wird als nächstes eine Profi-SLM herauskommen. Auch Panasonic hat jetzt ein Vollformat-System angekündigt, der M43-Sensor lässt sich eben doch nur begrenzt an Profis vekaufen.

Muss es denn unbedingt Vollformat sein? Das ist ein gute Frage, denn eins ist auffällig: die neuen Vollformat-Systeme sind nicht klein. Die Kameragehäuse sind etwas kleiner und leichter (klar da fehlt ja eine Menge Mechanik), aber dafür sind alle Objektive, die keine Weitwinkel sind, länger als bei der DSLR. Es ist sogar sinnvoll, über die ebenfalls entwickelten Adapter, die SLR-Objektive weiter zu benutzen. Ein ganz unguter Trend sind lichtstarke Festbrennweiten, die einfach nur riesig sind. Dies hat technische Gründe, z.B. die immer höheren Anforderungen an die Auflösung, ist aber unhandlich. SLM-Systeme mit DX-Sensoren (also halbe Fläche des Vollformats) könnten daher ausgewogener sein. Fuji macht es mit seinem System vor und auch Canon hat seit Jahren fast unbemerkt ein solches System.

Das Problem sind wohl eher die Smartphones, die mit immer raffinierteren Softwarekniffen und erweiterter Mikro-Hardware immer bessere Bilder ermöglichen. Die Luft wird also dünner für alle Kamerasysteme, die sich davon nicht weit genug absetzen können. Dies dürfte der Grund sein, dass das Vollformat-System das einzige ist, das mittelfristig eine Zukunft jenseits des Smartphones verspricht. Eins werden wir aber vermissen: den analogen, optischen Sucher mit seiner ungefilterten Abbildung der Realität.

Literatur


© D. Bettge; 16.12.2018, letzte Änderung: 16.12.2018