Herbst 2023: Nachdem die Gravelei auf Schotter und Straße im Sommer sogar schon mit dem Stadtrad richtig Spaß gemacht hat, keimte der Beschluss, ein kompromisslos sportives Gravelrad aufzubauen – nicht nur fürs Wintertraining, sondern auch, um im Sommer mehr offroad fahren zu können. Natürlich habe ich viele Hersteller-Websites studiert, aber eigentlich war klar, dass ich wieder zu "Pasculli" gehen würde (im wahrsten Sinn des Worts), um ein Rad in persönlicher Absprache individuell aufbauen zu lassen.
Da ich mit Standardrahmen in Größe L mit ca. 56 cm Oberrohrlänge normalerweise gut klarkomme, fiel die Wahl zunächst auf das Modell "Lisore", dessen Carbon-Rahmen es ausschließlich in Standardgrößen gibt, aber auf Wunsch mit individueller Lackierung. Nun ist die Fahrradindustrie mittlerweile unumkehrbar auf dem Integrations-Trip, weshalb alle Kabel vom Lenker durch den Vorbau in den Rahmen geführt werden. Sehr elegant, vielleicht auch aerodynamisch, aber je nach Ausführung schwer wartbar und nur begrenzt individuell einstellbar. Zudem haben die Räder dann meist sehr dicke Vorbauten und Steuerrohre – alles hat Vor- und Nachteile. Die Idee, einen gefederten Vorbau mindestens zu testen, ist damit auch nicht ohne weiteres kompatibel. Als dann Lieferprobleme beim Lisore auftraten, entschied ich mich, das Rad komplett custom aufbauen zu lassen mit dem teureren "Tomarlo"-Rahmen und individueller Rahmen-Geometrie, aber abweichend von der aktuellen Ausführung mit "klassischer" (halbintegrierter) Zugführung. Wenn ich ehrlich bin und auf mein Herz höre, dann hatte ich das eigentlich sowieso gewollt.
Wenn man für die Rahmengeometrie alle Freiheiten hat, kann man die Maße Millimeter-genau vorgeben – einerseits. Andererseits ist das aber schwieriger getan als gesagt. Pasculli unterstützt einen dabei vorbildlich mittels Bikefitting, aber es ist gut, wenn man zusätzlich auf die Maße vorhandener Räder zurückgreifen kann, deren Eigenschaften man gut kennt, z.B. ein Straßen-Rennrad und ein Stadt-Gravelrad. Die Geometrie sollte in diesem etwas kürzer sein als beim Straßenrenner und etwas sportlicher als beim Stadtrad, das Steuerrohr sollte den Vorbau möglichst ohne Spacer auf die richtige Höhe bringen. Ansonsten eher klassische Anmutung, also kein besonders flacher Lenkwinkel und kein ultrakurzer Vorbau. Heraus kamen schließlich ein 57er Oberrohr, 17er Steuerrohr, Steuerwinkel 71,5 Grad und ein 100er Vorbau. Das Oberrohr wurde etwas stärker abfallend ausgeführt, damit die Sattelstütze federn kann.
Praktischerweise brachte Shimano zu dieser Zeit gerade seine auf 12-fach erweiterte mechanische (ja tatsächlich nur mechanische) GRX-Gruppe heraus – darauf hatte ich schon länger spekuliert. Die wurde es dann, in Einfach-Variante mit mittellangem Schaltwerk und 10-45-Cassette. Diese wurde dann aus Gewichtserwägungen (immerhin 100 g Unterschied) statt XT die XTR-Version mit Stahl-, Titan- und Alu-Ritzeln. Dazu passend die überarbeiteten Shimano Gravel-Laufräder mit Carbonfelgen und 25 mm Maulweite. Die GRX-Gruppe war schon nach einer Woche da und konnte bewundert werden (Shimano hatte wohl bereits vorproduziert). Nach ziemlich genau 2 Monaten stand das Rad zur Abholung bereit – das finde ich ziemlich gut für einen kompletten custom-Aufbau mit Maßrahmen. Alles ist sauber ausgeführt und mit Liebe zum Detail aufgebaut.
Nach den ersten Fahrten war geklärt, dass ein 100er Vorbau optimal ist. Daraufhin wurde ein Feder-Vorbau "Redshift Shockstop pro" bestellt, der nach ein paar Tagen eintraf. Der wiegt in dieser Variante mit ca. 230 g nur ca. 100 g mehr als ein guter starrer Vorbau (allerdings weniger Gramm als Euro). Es ist eine optisch recht unauffällige Eingelenk-Konstruktion. Das Gelenk ist Kugel-gelagert und zeigt im Betrieb keinerlei Spiel, so dass der Redshift-Vorbau trotz vertikaler Beweglichkeit torsionssteif ist. Die Federhärte lässt sich mit Kombinationen von zwei aus fünf mitgelieferten PU-Federeinsätzen unterschiedlicher Härte einstellen. Dazu werden die Lenkerklemmung und ein Vorspannkeil entfernt, der die Elastomere an Ort und Stelle hält.
Erster Fahreindruck: Es passt. Nach ein paar Fahrten und ein paar Iterationen der Feineinstellung (Sattel, Lenker, Griffe) fühlt sich alles perfekt an. Spacer unter dem Vorbau sind nicht nötig, daher konnte der Gabelschaft noch etwas gekürzt werden. Die Rahmengeometrie ist unauffällig im besten Sinne, stabil und trotzdem agil. Die Schaltung funktioniert sauber, mit kurzen Hebelwegen und mit guter taktiler Rückmeldung. Das Freilaufgeräusch aus der Hinterradnabe ist trotz Zahnscheiben-Technik erfreulich zurückhaltend, jedenfalls viel dezenter als manche aktuellen Krachkisten teils bekannter Hersteller. Das war ein nicht unwesentlicher Grund, die Shimano-Laufräder auszuwählen. Mit Winter-Überschuhen (aber nur dann) touchiert die Fußspitze beim scharfen Einlenken ganz knapp den Reifen – also gut dass der Rahmen nicht kürzer ist. Die tubeless installierten G-One-R-Reifen sind jetzt mit 2,1 und 2,3 bar aufgepumpt und laufen damit gefühlt sehr leicht auf jedem Untergrund, erzeugen auf Asphalt ein leises Surren.
Der Redshift-Vorbau ist jetzt so abgestimmt, dass beim Greifen des Lenkers und Abstützen auf den Bremsgriffen bereits eine kleine Einfederung passiert (wie der "Sag", also Negativ-Federweg, einer Federgabel). Wurzelpassagen oder Kopfsteinpflaster wird dann sehr effektiv die Spitze genommen. Es ist nicht sänftengleich oder bügelt alles weg, aber in Kombination mit einem 40er Reifen entspricht der Effekt ungefähr einem 60er MTB-Reifen. Bei heftiger Rüttelpiste klackt der Vorbau beim Ausfedern spürbar am oberen Anschlag an. Beim Einfedern gibt es keinen hör- oder fühlbaren Anschlag. Die Einbauhöhe des Redshift ist mit 40 mm identisch zum Zipp SC-SL Vorbau. Der bleibt erstmal dran.
Fazit: ein elegantes, leichtes und dezentes Rad, das perfekt passt und Lust auf viele Fahrten macht.
Mit steifen, geräuscharmen Bremsscheiben CL900
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