Januar 2017: Etwas neues entsteht – ein richtig schickes und schnelles Renntandem, realisiert von der Fa. Calfee Design in Kalifornien. Warum? Weil wir, wenn nicht jetzt, dieses Traumrad vielleicht nie mehr aufbauen würden. Warum Calfee? Zu diesem Zeitpunkt (Ende 2016) waren die Kalifornier unseres Wissens die einzigen, die langjährige Erfahrung im Bau von seriösen Vollkarbon-Tandemrahmen haben. Dies bietet die Chance, einen Rahmen zu bekommen, der zugleich leicht und verwindungssteif ist und hoffentlich keine Kinderkrankheiten mehr hat.
Sie bauen außerdem für viel Geld alles, was der Kunde wünscht. In unserem Fall ist das z.B. unsere geliebte Rahmengeometrie mit einem leicht erhöhten hinteren Tretlager. Im Live-Chat zwischen Berlin und Kalifornien waren sie dabei die ersten, die auf Anhieb verstanden haben, was wir wollen und warum. Nach Absprache der Maße erhielten wir eine technische Zeichnung, auf der man das alles klar erkennen konnte. Alle Details wurden letztlich per Mailverkehr geklärt. Alles geht zur Zeit im Direktvertrieb per email-Absprache mit den Verantwortlichen bei Calfee, also ohne stille Post über einen Händler.
Das Farbkonzept begann mit einem Rahmenumriss:
Daraus folgten diverse Versuche, wobei wir auf einem Familiengeburtstag die Anwesenden im Ideen gebeten haben:
Letztlich wurde es dieses relativ einfache Design:
April 2017: Es ist soweit – Calfee hat den Rahmen gebaut, Rahmen und Gabel lackiert und das ganze Rad testhalber aufgebaut. Dann ging die Odyssee von Kalifornien nach Berlin los. Am längsten haben letztlich die Zollformalitäten gedauert, aber am Ende wurde das Paket wohlbehalten ausgeliefert.
Mai 2017: Hier ist es nun... Das Auspacken und Zusammenbauen der vormontierten Teile war nicht schwierig. Alles, was kompliziert sein könnte, war fahrfertig montiert.
September 2017: Nach ein paar Hundert Kilometern Fahrpraxis können wir vielleicht ein erstes Fazit ziehen: Es ist nicht so, dass wir plötzlich wie von Zauberhand viel schneller unterwegs sind als zuvor, aber die erhoffte Kombination von leicht und steif funktioniert eindeutig. Schon bei sowas simplem wie dem Handling vor oder nach der Fahrt ist das geringe Gewicht natürlich sehr angenehm. Der Zahnriemen auf der linken Seite hat keinerlei Ölschmiere und führt daher nicht zu schwarzen Flecken am Bein.
Die Sitzpositionen passen. Das Lenkverhalten ist unauffällig und neutral, wobei bei Seitenwind die hohen Felgen vielleicht einen gewissen Einfluss haben, aber nicht unangenehm. Der Rahmen und die Lenker-Vorbau-Kombinationen sind im Wiegetritt super steif, so dass diese Übung sauberer und kompromissloser geht als zuvor gewohnt. Die großzügigen Rohrdurchmesser und die wirklich dicken Rohrknoten machen den Rahmen sehr torsionssteif. Auch die Gabel, die mutmaßlich keine spezielle Tandemgabel ist, sondern eine Crossrad-Gabel erscheint uns steif genug zu sein. Vielleicht tragen die Steckachsen vorne und hinten auch ihren kleinen Anteil bei.
Die Laufräder mit den 404er Zipp-Felgen und 28 Speichen sind nach dem Hochziehen der Speichenspannung und Umbau des Hinterrads auf DT Competition dauerhaft stabil. Der Reifendruck kann unter 8 bar bleiben, 7.5 bar reichen für uns völlig – das hängt sicher auch damit zusammen, dass die 25 mm-Reifen auf den Zipp-Felgen vergleichsweise breit sitzen. Die Scheibenbremsen sind einfach nur genial und entwickeln jederzeit angenehm leise und mit geringen Handkräften die nötige Bremswirkung. Die Scheibendurchmesser von 160 und 180 mm sind offenbar für unsere Gewichtsklasse (140 kg Systemgewicht) völlig ausreichend.
Wegen der gerade verlaufenden Kettenstrebe rechts sitzen die Kettenblätter ein paar Millimeterweiter außen als gewohnt, da lässt sich nicht viel tricksen, wenn man gefährliche Kettenklemmer ausschließen will. Das bedeutet, dass man statt groß-groß zu fahren lieber mal aufs kleine Blatt gehen sollte, damit die Kette nicht zu schräg läuft. Bei Streckentempo ist alles gut, aber in der Stadt fährt man doch eher mal das kleine Blatt. Der Kettenabweiser innen am Umwerfer muss auf jeden Fall so knapp wie möglich eingestellt sein, damit die Kette wirklich nicht durchpasst, einmal gab's schmutzige Finger. Vielleicht sollte man das kleine Blatt, das ja eigentlich ein mitteleres ist, durch eines ohne Rampen und Ausstellungen ersetzen.
Der Zahnriemen auf der linken Seite verrichtet seinen Dienst bisher völlig unauffällig und geräuschlos, es ist erstaunlich. Er war ab Werk ordentlich vorgespannt, so dass auch im Wiegetritt nichts Negatives zu bemerken ist. Das Kielrohr bewegt sich kein bisschen, wenn man den Riemen von Hand zusammendrückt.
Die Position der Flaschenhalter ist durch das fehlende interne Rahmenrohr ("Lateralrohr") besonders für den Stoker verändert. Mit etwas Übung haben wir uns daran angepasst, die Flaschenhalter selbst sind super. Die Bremsschalthebel (mechanische Schaltung und Hydraulik-Bremse), die Stoker-Hörnchen und die breit ausgeformten Lenker sind äußerst bequem, etwas mehr Auflagefläche ist nie falsch. Und viel mehr ist ja auch schon nicht dran...
Mai 2018: Die hintere Scheibenbremse fing irgendwann an, kurz vor dem Stillstand und bei großer Bremskraft nervig zu quietschen. Nach eingehender Diskussion der Möglichkeiten haben wir den Bremsbelag von organisch gebunden auf metallisch gebunden getauscht. Dies hat das Problem bisher nachhaltig gelöst. Offenbar wurde die Eigenfrequenz der Bremse in einen günstigeren Bereich verschoben, so dass keine Resonanz mehr entsteht. Der metallische Bremsbelag scheint subjektiv etwas härter und bissiger zu sein. Vorn blieb der organische Belag drin, die Mischung ist vom Gefühl her kein Problem.
August 2018: 1.500 km – mit zunehmender Übung wird das Handling intuitiver. Wiegetritt funktioniert immer besser und effizienter. Die Bremsen bleiben ruhig und packen scheibenbremstypisch verzögerungsfrei zu. Die Laufräder stehen.
Oktober 2019: 3000 km sind durch – keine Vorkomnisse.
November 2019: Die etwas aufdringlichen ZIPP-Felgenaufkleber durch Vereinslogos ersetzt. Die Zipp-Aufkleber haften zwar nicht allzu fest, sind aber nicht reißfest, daher ein sehr langwieriges Gepule. Eigene Aufkleber kann man übers Internet bestellen. Dies hier ist relativ dicke, stark haftende Folie, die man aber wieder ablösen kann.
August 2020: Reifen GP5000 in 28 mm aufgezogen (Schläuche SV18 mit Ventilverlängerungen). Der GP5000/28 ist, nachdem er sich gesetzt hat, außen 1 mm breiter (28 mm) als der GP4Seasons/25, ca. 1,5 mm breiter als die Felge (26,5 mm). Das ist aerodynamisch nicht optimal, aber OK, wir machen ja kein Zeitfahren. Wir rollen mit den GP5000 ca. 1 km/h schneller als mit den GP4S, und die 28 mm machen rauhe Oberflächen etwas angenehmer bei einem Druck von ca. 6,5 bar.
Mai 2022: Nach 5 Jahren wurde die Antriebskette erstmals getauscht und dabei alle Ritzel und Kettenblätter ernsthaft gesäubert. Laut Verschleißlehre war die Kette zwischen 0,075 und 0,1 mm Verschleiß pro Glied. Anfangs sprangen kleine Gänge unter großer Last, aber das gibt sich. Die hintere Bremse wurde sehr sorgfältig entlüftet und hat jetzt fast den gleichen Druckpunkt wie die vordere – das geht also. Bewährt hat sich übrigens die leicht unterschiedlich hohe Einstellung der Bremsschaltgriffe (rechts etwas tiefer) – auf diese Weise kann man leicht unterschiedliche Armlängen ausgleichen und die Sitzposition symmetrischer gestalten, so dass keine Unruhe ins Team kommt.
April 2023: Der hintere Bremssattel wurde 1:1 ersetzt (Shimano BR-RS785). Seit einiger Zeit kam immer wieder Öl in die Bremse, also auf Scheibe und Beläge, so dass die Bremswirkung bedenklich nachließ. Aus heutiger Sicht war das Problem vermutlich von Anfang an da. Nach einer Weile fing die hintere Bremse an zu quietschen, so dass ich vom organisch gebundenen auf einen gesinterten Belag gewechselt bin (s. Mai 2018). Irgendwann ließ der Druckpunkt nach, so dass die Bremse neu gefüllt und entlüftet werden musste (s. Mai 2022). Im Nachhinein gesehen hatte der Bremssattel wohl von Anfang an eine Undichtigkeit, die mit der Zeit langsam zunahm. Hoffen wir mal, dass das Problem jetzt erledigt ist – neues Spiel, neues Glück.
April 2024: Auf Grund der guten Erfahrungen an anderen Rädern haben wir auf andere, größere Bremsscheiben umgerüstet und die Sättel erneuert. Die Bremsscheiben sind die neuen Shimano CL900, die formal der DuraAce-Gruppe zugeordnet sind. Diese gibt's nicht nur in 160 und 140 mm, sondern auch in 180 und 203 mm, wobei man die beiden großen im Laden bestellen muss, und die wiederum direkt beim Importeur Paul Lange, weil die offenbar selten geordert werden. Die Konstruktion verhindert tatsächlich sehr effektiv Bremsenschleifen nach harten Bremsungen. Die Sättel sind jetzt moderne kurze Rennsättel mit mehr Breite, was offenbar sehr viel Sinn macht. Vorn ein Selle Italia SLR Boost (mit einer flachen Rille), hinten ein Pro Stealth Team in 142 mm Breite, der offenbar für Männer und Frauen gut funktioniert, sogar mit Alltagshosen. Wir sind mit beiden Modifikationen sehr zufrieden.