Tandem-FahrtechnikVorbemerkungen [Grundkurs] [Fortgeschrittene] [Seitenanfang]Die meisten Leute, die zum ersten Mal Tandem fahren, fühlen sich ziemlich unsicher dabei und fahren sichtbar wackelig und verkrampft. Aber letztlich hat es noch jedes Team geschafft. Mit der Zeit funktionieren viele Dinge von selbst, über die man am Anfang noch ständig nachdenken musste. Ein paar Dinge kann man aber von vornherein beachten, die einem das Leben teils beträchtlich erleichtern können (s. dazu auch Die Richtige Methode und Advice for New Riders). |
Captain und Stoker: Wer vorne sitzt heißt "Captain", weil er oder sie für alles mögliche verantwortlich ist. Wer hinten sitzt heißt "Stoker". Der Stoker, ist, wie der Name schon sagt, zum Heizen da. Das heißt, er oder sie soll möglichst viel Vortrieb bringen und sich ansonsten möglichst neutral verhalten. Da der Stoker im Prinzip nur treten muss, kann er zumindest theoretisch mehr leisten als auf einem Einzelrad. Außerdem kann der Stoker während der Fahrt die Landschaft bewundern, Karten lesen, Fotos machen, den Captain kitzeln und vieles mehr. Letztlich ist aber der Captain dafür verantwortlich, dass sich der Stoker wohlfühlt. Lesen Sie dazu unbedingt Die Richtige Methode von Bill McCready, Quintessenz: Der Stoker macht keine Fehler. Das heißt noch lange nicht, dass er immer Recht hat, aber die Verantwortung hat der Captain.
Wer sitzt wo? Von der Ergonomie und vom Fahrverhalten her ist es günstiger (aber nicht zwingend notwendig), wenn der/die schwerere vorne sitzt. Ist der Rahmen klein genug, kann aber auch der kleinere Fahrer als Captain fahren. Problematisch sind dabei oft die einstellbaren Lenkerhöhen (vorne zu hoch, hinten zu niedrig, weil der vordere Sattel ganz unten ist) und die meist zu geringe Länge des Stokerplatzes (s. Artikel dazu). Aber mit etwas Übung kann auch ein sehr leichter Captain das Rad beim Ampelstopp ausbalancieren. Einfach haben es Teams, bei denen beide Fahrer gleich groß sind, so dass sie leicht die Positionen tauschen können. Die meisten Tandemteams sind jedoch gemischte Paare, bei denen ein Fahrer, meistens die Frau, deutlich kleiner und leichter ist als der andere.
Pedale: Zumindest der Stoker sollte Pedale mit Haken und Riemen oder Klickpedalen fahren, besser aber beide Fahrer. Dann kann man nicht von den Pedalen rutschen, z.B. bei einer unangekündigten Vollbremsung oder weil jemand plötzlich die Pedalen anhält. Die vorderen und die hinteren Pedale sollten mit einem Gummiband verbunden sein, das alle Pedale immer in der richtigen, d.h. aufrechten Position hält. Das erleichert das Anfahren und verhindert, dass beim Fahren ohne Stoker die hinteren Pedalen aufsetzen. Außerdem kann man ohne Probleme einseitige Pedalen fahren.
Leerfahrt: Ein neuer Captain sollte erstmal ein paar Runden solo auf dem Tandem drehen, um ein Gefühl für das Handling des Rades zu bekommen. Nicht verkrampfen, sondern laufen lassen, auch später mit Stoker.
Aufsteigen: Erst stellt sich der Captain über den Rahmen. Am stabilsten ist es, wenn er sich aufs Oberrohr setzt und sich gegen den Sattel klemmt, wie hier weiter unten beschrieben. Dann steigt der Stoker auf. Nicht umgekehrt, sonst gibts blaue Flecken für den Stoker oder sogar den knock-out. Der Stoker sollte jetzt beide Füße auf die Pedalen setzen und einklicken, falls Systempedale gefahren werden. Der Captain hält das ganze im Gleichgewicht. Ist der Stoker deutlich schwerer als der Captain, muss die Haltetechnik sehr sauber sein. Aber wenn man es richtig anstellt, ist Gewicht nicht der Punkt.
Anfahren: Angefahren wird erst, wenn der Stoker sein OK gegeben hat. Wenn der Stoker schon die Füße oben hat, ist das Anfahren von der Koordination her nicht mehr besonders schwierig. Wichtig ist dabei folgendes: Der Stoker sollte beim Anfahren kräftig treten, damit möglichst schnell eine Geschwindigkeit erreicht wird, bei der man sicher steuern kann. Zaghaftes Anfahren ist fehl am Platz und führt nur zu unnötiger Wackelei!
Anhalten: Bei kurzen Stopps, z.B. an der Ampel, sollte der Stoker in den Pedalen bleiben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Captain das Tandem alleine viel leichter balancieren kann, als wenn das beide Fahrer gleichzeitig versuchen und sich gegenseitig aushebeln. Dies gilt besonders dann, wenn Captain und Stoker auf ihren Einzelrädern auf unterschiedlichen Seiten den Fuß vom Pedal nehmen. Abgesehen davon muss beim Anfahren nur der Captain in sein Pedal kommen. Nur zum Vergleich: Wir haben noch nie ein Motorrad gesehen, bei dem der Beifahrer beim Ampelstop den Fuß runtersetzt - der Grund ist der gleiche, und das Motorrad ist deutlich schwerer.
Treten: Hier ist etwas Kultur gefragt. Möglichst gleichmäßig treten und nicht plötzlich die Kurbeln anhalten, das gilt für beide Fahrer. Auch beim Ausrollen zunächst ohne Kraft weiterkurbeln, bis der Captain die Pedalen anhält. Der Stoker muss lernen, sehr feinfühlig auf die Signale des Captains zu reagieren, z.B. zu fühlen, wann der Captain Kraft rausnimmt oder aber vollen Schub benötigt.
Schalten: Geschaltet wird zunächst auf Ankündigung des Captains. Der sagt "Schalten!" oder etwas ähnliches, woraufhin der Stoker ohne Kraft, aber mit derselben Frequenz weitertritt (aber weitertreten muss er, sonst kann man nicht Schalten!), so dass der Captain schalten kann, ohne dass es im Getriebe kracht. Dann gehts weiter. Nur beim Ausrollen kann auch ohne Ankündigung geschaltet werden, weil dann sowieso keine Leistung anliegt.
Lenken: Nur der Captain lenkt. Nicht der Stoker! Und er sollte es auch nicht versuchen, weil das das ganze Tandem aus dem Gleichgewicht bringen kann. Oder der Stoker verdreht seinen Lenker mitsamt dem vorderen Sattel, auf dem ja jemand draufsitzt. Stoker müssen Vertrauen entwickeln und locker bleiben. Die Captains müssen dieses Vertrauen rechtfertigen. Dauerhaft nervöse Stoker können zur Übung freihändig fahren.
Kurven: Beide Fahrer müssen locker bleiben. Der Stoker muss sich neutral verhalten und der Captain legt das Rad mitsamt Stoker in die Kurve. Keine Angst, man kann ein Tandem gefahrlos genauso weit in die Kurve legen wie ein Solo. Der Angstreflex, der das anfangs verhindert, muss mit der Zeit überwunden werden.
Bremsen: Der Captain sollte versuchen, möglichst gleichmäßig und vorausschauend zu fahren und nicht unnötig scharf zu bremsen, weil das für den Stoker überraschend und unangenehm sein kann. Klickpedale verhindern, dass der Stoker bei einer Vollbremsung von den Pedalen fällt. Falls der Stoker den Bremshebel für eine Trommelbremse an seinem Lenker hat, sollte er nur auf Anweisung des Captains bremsen, z.B. bei langen Abfahrten. Eigenmächtiges Bremsen kann gefährlich sein, z.B. wenn die beiden Fahrer eine Situation verschieden einschätzen.
Hindernisse: Der Captain sollte seinen Stoker vor herunterhängenden Ästen, Kanten und Schlaglöchern warnen, so dass dieser reagieren kann (also nicht einfach ducken, und dem Stoker klatscht der Ast in Gesicht). Jeder Captain sollte bedenken, dass sein Stoker alle Bodenunebenheiten direkt in die Sattelstütze bekommt, während der vordere Sitzplatz fast genau in der Mitte zwischen den Laufrädern sitzt und daher viel komfortabler gefedert ist.
Trittfrequenz: Tendenziell kurbelt man auf dem Tandem erstmal langsamer als auf dem Einzelrad und schaltet seltener. Das geht auch erstmal ganz gut, weil man auf dem Tandem ohnehin recht schnell ist, aber es kostet unnötig Kraft. Mit der Zeit sollten beide Fahrer lernen, auf dem Tandem und auf ihren Solorädern eine hohe Trittfrequenz zu fahren und oft genug zu schalten. Das kann recht lange dauern, wenn die beiden auf ihren Solorädern sehr unterschiedliche Stile fahren. Besonders derjenige Fahrer mit der geringeren Trittfrequenz muss an seiner Technik arbeiten. Man muss viel Geduld haben und sich über die Jahre angleichen. Nur wenn beide Fahrer zwanglos dieselbe Trittfrequenz fahren, ist eine reibungslose Kommunikation über die Kette möglich.
Krafteinsatz: Wie schon gesagt, muss besonders der Stoker lernen, seine Kraft sinnvoll zu dosieren. Er sollte zu jedem Zeitpunkt fühlen können, mit wieviel Prozent Leistung der Captain gerade fährt und sein Leistungsniveau anpassen. Das ist sehr schwierig und bedarf langer Übung und großer Aufmerksamkeit seitens des Stokers. Direkte Befehle des Captains sind dann nur selten nötig, höchstens für einen koordinierten vollen Antritt in Gefahren- oder Rennsituationen. Aber auch der Captain sollte nicht nur mangelnde Leistung von hinten bemerken, sondern auch, wann er den Stoker überfordert oder einseitig arbeiten lässt.
Schalten: Mit der Zeit lernt der Captain, welche Schaltvorgänge er ansagen muss und welche nicht. Je besser das Team abgestimmt ist und je besser die Intuition ist, desto weniger muss angesagt werden. Die beste Methode zum Schalten ist, wenn der Captain selbst für einen kurzen Moment die Kraft rausnimmt und so schaltet, dass die Kette das Ritzel oder Kettenblatt wechselt, wenn die Kurbeln gerade senkrecht stehen. Am unkritischsten ist das Schalten von Ritzel zu Ritzel. Am kritischsten hingegen sind Schaltvorgänge, bei denen Umwerfer und Schaltwerk gleichzeitig geschaltet werden müssen. Bei einem erfahrenen Team wird der Stoker die allermeisten Schaltvorgänge erahnen und für den Bruchteil einer Sekunde etwas Kraft rausnehmen.
Kurventechnik: Wenn man die anfängliche Ängstlichkeit abgelegt hat, wird man feststellen, dass sich Tandems genauso schnell durch Kurven maneuvrieren lassen wie andere Fahrräder, außer vielleicht bei sehr engen Kurven im Gelände. Der Stoker muss sich absolut neutral verhalten, d.h. er muss relativ zum Rad aufrecht sitzen bleiben. Der Captain muss - wie beim Motorrad - sich und das Rad mitsamt Stoker in die Kurve legen.
Notbremsungen: Je schneller man fährt, desto wichtiger ist es zu wissen, wie man effizient und sicher bremst. Tandems sind in dieser Beziehung sicherer als Solo-Räder. Tandems können nämlich deutlich stärker verzögern, weil aufgrund der größeren Länge das Hinterrad nicht abhebt. Es ist deshalb möglich, beide Laufräder bis an die Haftungsgrenze zu bremsen. Das will aber geübt sein, besonders bei hohen Geschwindigkeiten, d.h. man sollte ausprobieren, wie sich Bremsungen verschiedener Stärke anfühlen. Genaueres hier.
Wiegetritt: Das ist schon auf dem Single nicht ganz einfach. Auf dem Tandem muss es richtig geübt werden. Aber es hilft z.B. an Steigungen, beim Beschleunigen und zum Entlasten des Sitzfleischs auf langen Strecken. Genaueres hier.
Fahren in Gruppen: Das Mitfahren in Trainingsgruppen auf der Straße ist auch mit dem Tandem möglich und sinnvoll. Voraussetzung ist, das man einen sehr ruhigen und gruppendienlichen Fahrstil pflegt. Damit das funktioniert, muss man auf dem Tandem noch aufmerksamer fahren als auf dem Solorad. Genaueres hier. Im Gelände besteht eher das Problem, überall rum- und durchzukommen, wo es mit einem Solorad möglich ist.
Bergfahren: Wie wird man besser am Berg? Es gibt nur eins: Man muss Berge trainieren! Genaueres hier.
Rennen: Bereit für das erste richtige Rennen? Vielleicht ein Rundstrecken-Rennen? Es gibt nur wenige reine Tandemrennen, die meisten davon im Blindensport. Bei vielen sind auch "normale" Teams zugelassen. Lest hier.
Gelände-Fahrtechnik: So anders kann das doch gar nicht sein, denkt der Straßenfahrer - denkste! Im Gelände spielt die Fahrtechnik eine entscheidende Rolle. Lest hier.